6. Workshop der Salzburger Umwelt- und Nachhaltigkeitsvernetzung mit reger Beteiligung

Rege Teilnahme am 6. Workshop der Salzburger Umwelt- und Nachhaltigkeitsvernetzung

An die 30 Personen beteiligten sich am mittlerweile 6. Workshop der Salzburger Umwelt- und Nachhaltigkeitsvernetzung, der am 16. Oktober 2023 in der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen stattgefunden hat. Auch diesmal waren wieder zahlreiche NGOs aus dem Natur-, Klima- und Tierschutzbereich sowie der Mobilitäts-, Energie- und Wirtschaftswende vertreten. Der Politikwissenschaftler und Experte für Erneuerbare Energie Franz Kok sowie der Biodiversitätsexperte Andreas Tribsch – beide Universität Salzburg – referierten über das Wechselverhältnis von Natur- und Klimaschutz. Den Inputs folgte eine anregende Diskussion. Im letzten Teil berichteten die einzelnen Gruppen über ihre aktuellen Aktivitäten. Alle mitwirkenden Gruppen sind auf der Plattform Zivilgesellschaft Salzburg verlinkt. Die Workshops finden mit Unterstützung des Landes Salzburg im Rahmen der Klima + Energiestrategie 2050 statt. Geleitet werden sie von Hans Holzinger und Michael Hinterkörner. Die Workshops sollen weitergeführt werden, so der einhellige Wunsch der Teilnehmenden. Im Folgenden findet ihr einen Bericht.

REFERATE & DISKUSSION ZUM THEMENSCHWERPUNKT

Franz Kok, Politikwissenschafter an der Universität Salzburg und Obmann der Ökostrombörse, skizzierte in seinem Input den steigenden Strombedarf, wenn die Dekarbonisierung gelingen soll. Der Mehrbedarf werde insbesondere aus dem zusätzlichen Strombedarf für Mobilität und Industrieprozesse kommen. In der Folge erläuterte er, warum auch Salzburg Windenergie brauchen werde, um die Produktionslücke im Winter aufgrund niedriger Wasserstände der Salzach und weniger Sonneneinstrahlung zu schließen. Er vertrat die These, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die Klimakrise zum einen den Artenschutz in Geiselhaft nehme, weil der Problemdruck groß ist, andererseits Artenschutz oft nur vorgeschoben werde, wenn man Erneuerbare Energieanlagen, etwa Windräder, aus anderen Gründen ablehne. An Bildern machte Kok deutlich, wie es möglich ist, Windräder in Regionen zu installieren, in denen ohnedies bereits Infrastrukturen, etwa für den Tourismus, vorhanden sind.

Franz Kok über die Notwendigkeit einer Energiewende

Koks zentrale Aussagen: Der Artenschutz wird missbraucht, weil die primäre Meinungsbildung zu Windrädern und PV Freiflächen von der optischen Wahrnehmbarkeit bestimmt ist. Dass der Ausbau erneuerbarer Energie den Biodiversitätsschutz erpresse, müsse nicht sein, wenn eine sachliche Interessensabwägung erfolgt. Spannungsfelder gäbe es bei konkreten Standortentscheidungen (Not in my Backyard), wenn es um den Artenschutz geht und spezifische Abwägungsentscheidungen notwendig sind. Als Strategien für Salzburg betonte Kok wissensgeleitete Politikberatung sowie den Einsatz von bekannter Technik zum Risikomanagement, etwa um Windräder bei Vogelzug abschalten zu können.

Andreas Tribsch, Biodiversitätsexperte der Universität Salzburg, zeigte zunächst die Bedeutung von Biodiversität für das Funktionieren der Ökosysteme als Lebensgrundlage auch für uns Menschen auf. Anhand der Planetary Boundaries des Stockholm Resilience Center zeigte er, im Bereich der Artenvielfalt, der Bodennutzungsänderung, der Stickstoff- und Phosphoreinträge in die Böden ökologische Grenzen bereits überschritten wurden und Kippunkte drohen. Der Biodiversitätsrat, ein Zusammenschluss von österreichischen Expert:innen, habe konkrete Forderungen an die Österreichische Bundesregierung formuliert, etwa dass einer biodiversitätsfördernden Landnutzung mehr Beachtung geschenkt werden müsse. In einem Biodiversitätsbarometer wird der aktuelle Zustand angezeigt – in vielen Bereichen sei die Ampel dabei auf Rot, etwa in der Umsetzung nationaler und regionaler Artenschutzprogramme.

Andreas Tribsch über die Bedeutung von Biodiversität

In der Folge zeigte Tribsch an historischen Rückblicken auf, wie Salzburgs Kulturlandschaften in den letzten 150 Jahren aufgrund der Aufgabe der Mischlandwirtschaft, der Ausräumung von Hecken sowie der Begradigung von Flüssen immer mehr verarmt sind. Er betonte, dass die Biodiversitätsproblematik über Naturschutzgesetze weit hinaus gehe, sie betreffe die Jagd, Fischerei,  Land- und Forstwirtschaft, die Raumordnung & den Bau von Infrastruktur sowie die Nachhaltigkeit der Gesellschaft insgesamt. Das Nature Restauration Law, dem das Europäisches Parlament nach Änderungen der Kommissionsvorlage am 12.7.2023 zugestimmt hat, erzeuge nun Druck auf eine nachhaltige und biodiversitätsverträgliche Landnutzung. Problematisch sei folgende Passage: „Member States should presume plants for the production of energy from renewable sources, their connection to the grid, the related grid itself and storage assets, as being of overriding public interest.“ Mit derselben Argumentation möchte die Salzburger Landesregierung nun auch das Naturschutzgesetz aushebeln und einen „Freibrief für den Ausbau Erneuerbarer Energieanlagen“ ausstellen. Wichtig sei aber, den Fokus weg von den Konfliktfeldern hin auf mögliche Synergien zwischen Klima, Energie, Biodiversität und Renaturierung zurichten. Beispielsweise könnten zu renaturierende Flächen mit Fotovoltaik gekoppelt werden. Tribsch bestätigte, dass es auch in Salzburg aus Sicht des Naturschutzes geeignete(re) Standorte für Windräder gebe (zB in den bereits erschlossenen „Schibergen“, im Flachgau oder im Lungau, das Windsfeld zählte er nicht dazu, da der Eingriff für die Erschließung in diesem Kalkgebiet doch beträchtlich wäre.

Diskussion zu den Vorträgen von Franz Kok & Andreas Tribsch:

Frage: „Artenschutz wird nur als Vorwand gegen Windräder hergenommen. In Wahrheit gefällt es den Leuten optisch nicht.“(Statement Franz Kok) – Artenschutz ist bei Windenergie schon ein wichtiges Thema. Es braucht eine korrekte Erhebung von Grundlagendaten. Es ist aber nicht das Thema, das Windenergie verhindern soll.

Antwort: Es gibt technische Möglichkeiten (Windräder schalten sich automatisch ab, wenn sich Vögel, Fledermäuse, etc. nähern), funktioniert aber nicht für alle Arten. Zugvögel, Fledermäuse und Greifvögel, die in der Nähe brüten, sind dann ein sensibel, wenn es nachweisliche Unverträglichkeit mit Windrädern gibt. Eine Windkraftanlage tötet im Durchschnitt 4-5 Vögel in Österreich im Jahr. Ist das hinnehmbar? Beispielsweise tötet eine Hauskatze im Jahr deutlich mehr Vögel.

  • Frage: Bis 2030 sollten gewisse Ziele erreicht werden. Wie lange ist die Planungszeit eines Windrades?

Antwort: Zuerst Suche des Standorts, zwei Jahre Windmessung, eine Herbst- und Winterzugperiode der Vögel muss beobachtet werden und das Klima über eine längere Periode hinaus. (Geht sich also in den nächsten 6 Jahren nicht mehr aus)

  • Frage: Windräder in der Nordägäis schädigen die Wasserversorgung auf Inseln, da sie die Wolken bremsen.

Antwort: Die Fläche eines Windrades ist zu gering, um ein solches Problem auszulösen.

  • Frage: Nicht nur die Vögel, sondern auch die Pflanzen und Insekten sind hier wichtig. An den Standorten muss mehr abgewogen werden. Die Berechnungen sind nicht ausreichend und werden nicht zur Verfügung gestellt. Was wird durch ein Windrad am Standort zerstört? Man muss ja zuerst eine Fläche und die Zufahrtsinfrastruktur für die Windräder schaffen. Man muss abwägen, ob es das wert ist.

Antwort: Es ist Teil der Planungsroutine Flächen und das Naturinventar (Flora, Fauna, insb. Avifauna) und seine Qualität vor/nach einer Projektumsetzung zu dokumentieren sowie Winddaten und die Planung von Infrastruktur zu erheben. Das ist notwendig, um ein Projekt einer Behörde aber auch Investoren vorlegen zu können. Da es keine neben einem Standortvertrag keine Privilegien für die Projektentwicklung gibt sind nicht alle Daten für die Öffentlichkeit verfügbar. Auch weil diese oft wenig sachverständig in der öffentlichen Diskussion von Projekten verwendet werden. Die genaue Dauer für ein Windprojekt ist nur in dem Umfang öffentlich in den dies aufgrund der Auflage von Projekten in Genehmigungsverfahren obligatorisch ist oder vom Betreiber geteilt wird. Kostenpunkt für eine Projektentwicklung Windenergie liegt bei 1 Mio. Euro nur für die Planung des Projektes.

  • Frage: Finanzielle Bürgerbeteiligung, dadurch ist die Akzeptanz der Bürger gegeben. Kann man die mehr einbinden?
    Antwort: Bürgerbeteiligung ist fast immer vorhanden. Viele Projekte werden unter Bürgerbeteiligung finanziert. Die Erfahrung in Salzburg zeigt jedoch, dass auch Projekte mit Bürgerbeteiligung und Formen der Finanzierung durch eine Crowd deshalb nicht auf eine lokale Zustimmung stoßen müssen,  sondern aus Gründen der Neidgenossenschaft bekämpft werden.
  • Frage: Wie weit kann man die Windräder vergleichen? Windräder sind nach 20 Jahren kaputt und müssen entsorgt werden, sind aber schwer zu verwerten. Ist das auch ein Grund, warum Windenergie abgelehnt wird?

Antwort: Die für die Bereitstellung eines Windparks samt Infrastruktur und Anlagen notwendige „graue“ Energie wird von den Anlagen in einer Zeit von 3-8 Monaten im Betrieb wieder selbst erzeugt, die energetische Amortisation ist im Bereich Windenergie damit beispiellos schnell. Anlagen können nach 20 Jahren nach einer Einzelprüfung weiterbetrieben werden, müssen sonst abgebaut und recycelt werden, was mit Ausnahme der Rotorblätter auch vollständig am Stand der Technik möglich ist.  Einschränkungen dazu gibt beim Recycling von Rotorblättern, diese haben jedoch nur einen sehr geringen Masseanteil an der Anlage, Betonfundamente werden bisher bis 1m unter Oberfläche abgefräst und dann wieder überschüttet, wenn nicht eine Folgeanlage moniert werden kann. Generell gilt: Wenn man immer schaut, ob sich das alles umgehend rentiert, dann kommen wir sowieso nie weiter in Sachen Klimaschutz.

  • Frage: Wir haben die Fakten für die Zukunft (Klimawandel), aber wir wollen uns nicht verändern (Transformationsforschung) und Ulrike Herrmann sagt grüne Energiewende ist fake. Was sagt ihr?

Antwort: Wir brauchen viel Erneuerbare Energie. Effizienzgewinn kann damit verbunden sein. Erneuerbare Energie wird immer kostengünstiger. Sobald es um das Speichern der Energie, z. B. als E-Fuels, geht, brauche ich dreimal so viel Strom. Daher ist die Frage wichtig: Wann ist genug? à Suffizienz. Darüber müssen wir auch diskutieren und uns verständigen: Die (Um)Verteilung von weniger Energieeinsatz ist in Demokratien allerdings schwieriger als die Verteilung von Wachstum. Frage: Wer bekommt wie viel? Doch: Rationierung ist auch in Demokratien in Mangelsituationen denkbar und als Notmaßnahme durchführbar.

BERICHTE DER GRUPPEN & RESÜMEE

Nach der Pause wurden die teilnehmenden Gruppen eingeladen, über ihre aktuellen Aktivitäten zu berichten. Genannt wurden Kampagnen zur Bewusstseinsbildung, Vortragsangebote sowie Aktionen, die sich an die Politik in Salzburg richten.

In der Schlussrunde wurde bekräftigt, dass die Salzburger Umwelt- und Nachhaltigkeitsvernetzung auch 2024 fortgesetzt werden soll. Die gezeigten Präsentationen werden den Teilnehmenden mit dem Protokoll zur Verfügung gestellt. Die präsentierten Folien sowie die Berichte aus den Gruppen werden allen Mitwirkenden zur Verfügung gestellt.

Bericht: Michaela Hinterkörner, Hans Holzinger, Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen. Rückfragen: hans.holzinger@jungk-bibliothek.org.

Hier noch ein Link zu einer Diskussion an der BOKU Wien zum Thema.

Fotos: H. Holzinger/JBZ

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Hans Holzinger

Zukunfts- und Nachhaltigkeitsforscher, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg, 2010-2014 Lehrauftrag an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Autor und Vortragender, zuletzt erschienen: "Neuer Wohlstand. Leben und Wirtschaften auf einem begrenzten Planeten" (2012); "Sonne statt Atom. Robert Jungk und die Debatten über die Zukunft der Energieversorgung seit den 1950er-Jahren" (2013), "Von nichts zu viel - für alle genug" (2016), "Post-Corona-Gesellschaft" (2020). Forschungsschwerpunkte: Zukunft der Arbeit und sozialen Sicherung, globaler Ausgleich, neue Wohlstandbilder. Mitglied u.a. von Attac, Gemeinwohlökonomie,Global Marshall Plan Initiative, Südwind, Amnesty International.

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